Das Wunschkino 103, eine Idee von Olek Witt während des Kunstprojekts „Public Residence: Die Chance“, zeigt ein vielfältiges Programm, so vielfältig wie seine Besucher. Ich bin fast jedes mal dabei.
Der allererste Film im Frühjahr dieses Jahres war die “Nordkurve“, einer der Ruhrgebietsfilme von Adolf Winkelmann, in dem auch Rolf Dennemann mitspielt. Es folgte die Filmtrilogie „Drei Farben: Blau, Weiß, Rot“ des polnischen Regisseurs Kieślowski. Bei der ersten Vorführung versagte die Technik und es gab keinen Film zu sehen, aber wir hatten trotzdem einen sehr unterhaltsamen Abend.
Mein erster Wunschfilm im Wunschkino 103 war “Lockende Versuchung“ – nein, nein, kein Erotikfilm, sondern die Geschichte einer Quäkerfamilie während des amerikanischen Bürgerkrieges. Diese Familie bewies, dass man seine religiösen Grundsätze und Überzeugungen auch bewahren kann, ohne andere zu bedrängen. Übrigens: diesen Film überreichte Ronald Reagan, der damalige Präsident der USA Michael Gorbatschow, als Glasnost und Perestroika die westliche Welt verwirrten.
Dokumentarfilme über Lebensmittelverschwendung, Stadtentwicklung, über das Bienensterben, oder ein schräger Schweizer Film über einen Rentner, der seine Freiheit findet, waren im Programm. Weil gerade die “Wutbürger“ aktuell waren, sahen wir Filme wie “Der Große Demokrator“ oder “Wem gehört die Stadt?“. Die Regisseure Rami Hamze und Anna Ditges kamen persönlich vorbei, um mit uns über ihre Filme zu diskutieren. Es wurde deutlich, dass Demokratie oft, für negativ Betroffene, schwer zu verstehen ist, und dass ein Filmemacher seinen Film nicht nach demokratischen Regeln drehen kann. Er will seine Sicht darstellen.
Für den Film “Bound for Glory“ musste ich Olek Witt erst davon überzeugen, dass nicht die rechtsradikale amerikanische Rockband gemeint war, sondern der amerikanische Folksänger Woody Guthrie.
Zum 70. Jahrestag des Atombombenabwurfs wünschte ich mir “Die Glocken von Nagasaki“. Ich habe den Film als etwa Zwölfjähriger gesehen und bin seitdem gegen alle Art von Atom, sei es als Bombe oder sogenannter friedlicher Nutzung. Für diesen Film waren extra Filmfreunde aus Bochum und Wattenscheid erschienen. Der Film war aber leider nirgends zu bekommen. Unsere Filmexperten hatten sogar Zweifel, dass es diesen Film überhaupt gegeben hat! Als Ersatz sahen wir dann den Film „Schwarzer Regen“, der ebenfalls vom Atombombenabwurf und seine Folgen für Menschen und Umwelt erzählt.
“Früchte des Zorns“ war ein weiterer Wunschfilm von mir, weil zu diesem Zeitpunkt fast jede Berufsgruppe, Post, Lokführer, Fluglotsen, Lehrer und Erzieherinnen, in Deutschland streikte. Der Film zeigt, wie die amerikanischen Erntehelfer um ihren verdienten Lohn gebracht wurden. Solche Filme sind aber wohl leider nicht mehr im Programm der Verleiher und es musste wieder ein Ersatzfilm her. Einige Nachbarn hatten DVDs mitgebracht. Wir hatten dann die Wahl zwischen “Hotel Ruanda“, einem Film über den afrikanischen Bürgerkrieg in Ruanda oder einem Film von Loriot. In der Abstimmung musste der Loriot-Film “ante portas“ bleiben.
Interessante Filme wie “Gattaca“, ein Science Fiction über die Veränderung menschlichen Erbgutes, “Zug des Lebens“, eine Tragikomödie über osteuropäische Juden, die sich mit einem selbstgebauten Zug vor dem Lager retteten, “Tamam Miyiz,“ ein türkischer Film über die archaische Denkweise der türkischen Männer, oder “Wer weiß wohin“, ein libanesischer Film über das konfliktreiche Zusammenleben von Christen und Muslimen, bei dem oft die Frauen schlichten müssen, hatten immer ihr Publikum. Faszinierend war der Film “Das Salz der Erde“ über einen brasilianischen Fotografen, der zumeist in Schwarz-Weiß-Fotos Menschen und Natur zeigt, und der im Alter die Fehler seines Vaters, Wald abzuholzen ohne nachzupflanzen, wieder gut macht, indem er einen neuen Wald pflanzt.
Ein weiterer Höhepunkt war “Am Borsigplatz geboren“, die Geschichte der Gründung des BVB 09. Die Ablehnung der katholischen Kirche gegenüber der Fußlümmelei bzw. der “englischen Krankheit“ wurde sehr deutlich dargestellt. Sie reichte noch weit bis in die 1960er Jahre, wie ich am eigenen Leib erfahren musste. Der Pastor konnte schließlich nur mit schlagfertigen und schlagkräftigen Argumenten von der Gründung des BVB überzeugt werden. Leider gibt es wenig oder fast gar kein Filmmaterial aus dieser Zeit und so wurden die wichtigen Szenen nachgedreht, Fotografien gezeigt oder mit Animationen in Form von Sandbildern die Vergangenheit nachgestellt. Besonders anrührend wirkte die Szene mit dem jungen Soldaten, einem Borussen im ersten Weltkrieg, der im Schützengraben das Vereinslied singt: „Aber eins, aber eins, das bleibt besteh´n Borussia Dortmund wird nicht untergeh´n.“ Auch der Filmemacher Jan-Henrik Gruszecki war anwesend und überzeugte im Gespräch mit den vielen Fans durch seine Sachkenntnis über Borussia und über Fußball. Aus der Gründungszeit gibt es altersbedingt fast keine lebenden Zeugen mehr, und so kamen wir in der nachfolgenden Gesprächsrunde auf die direkten Nachfolger wie Max Michalek, Helmut Kapitulski, Heini Rumhofer oder August Lenz zu sprechen. Die lebten auch alle in unmittelbarer Nähe des Borsiplatzes und prägten das Bild der Borussia bei uns.
“Nordstadt“, die Diplomarbeit des Regisseurs Michael Kupczyk von der Fachhochschule Dortmund handelt von Maik, einem Exknacki, der gegen alle Vernunft wieder straffällig wird. Ein spannendes Drama, logisch und rasant und auch in der Nordstadt gedreht. Aber der Titel war zu augenfällig auf das Negativimage der Dortmunder Nordstadt gerichtet. Michael Kupczyk war auch zum Gespräch da. Sein Film wirkte an dem Abend besonders stark, weil er auf unserer neu angeschafften großen Leinwand zu sehen war.
Hoffentlich bleibt das Wunschkino noch lange erhalten, denn meine Wunschfilmliste ist noch lang.
uke