„Crashtest Nordstadt“ – das von Jörg Lukas Matthaei 2012 mit rund 70 Nordstädtern zwei Mal aufgeführte theatrale Spiel war eine der ungewöhnlichsten Theaterinszenierungen überhaupt: Wer daran teilnahm, ging als veränderter Mensch daraus hervor – so tiefgreifend waren die Erfahrungen, die diese Inszenierung, in der Realität und Fiktion verschwammen, beim „Publikum“ bewirkten. Auch bei den Darstellern, die darin als „Checker“, „Joker“ oder „Zen Meister“ aufgetreten sind: Freundschaften sind daraus entstanden, eine Facebookgruppe und der Wunsch nach einer Fortsetzung.
Quartiersmanagerin Lydia Albers kam auf die Idee, drei von ihnen einzuladen. Reinhold Giese vom Nachbarschaftskreis Borsigplatz hatte nämlich dazu angeregt, eine Theateraktion zu entwickeln, die noch mehr nachbarschaftliche Solidarität im Widerstand gegen den örtlichen Drogenhandel bewirken könne.
Zum Hintergrund: 250.000 Euro werden täglich in der Nordstadt für Drogen ausgegeben – eine Menge Geld, das längst nicht nur aus den Taschen der ca. 5.000 Abhängigen in ganz Dortmund stammt, sondern von auswärtigen Süchtigen und vielmehr noch Kurieren aus dem Sauerland bezahlt wird, die das Rauschgift weiter nach Holland und Süddeutschland bringen. Seit zwei Jahren ist ihnen die Polizei verstärkt auf der Spur: Der sogenannte Schwerpunktdienst umfasst 120 Beamte extra für die Nordstadt, darunter auch zivile Kräfte, die operativ auf der Straße tätig sind.
Um die Hintermänner geht es ihnen, das machte Dortmunds Polizeipräsident deutlich, als er und weitere Kriminalbeamten sich Ende Januar mit Quartiersbewohnern am Borsigplatz trafen. Die Anwohner und der örtliche Gewerbeverein hatten 2012 mit einer Unterschriftenliste auf härteres Durchgreifen gepocht. Der Gewerbeverein hatte zwei Jahre vorher schon massiv Alarm geschlagen. In der Folge war die Polizeipräsenz verstärkt, waren einschlägige Internetcafés geschlossen worden.
Die Kneipen werden von neuen Betreibern wieder eröffnet, auch Dealer sind immer noch da. Oft fahren sie in dicken Autos vor, tragen Markenklamotten, in ihren Hosentaschen stecken viele Scheine: In den Augen eines jungen Menschen, bei dem es in der Penne oder mit der Arbeit nicht gut klappt, haben Drogendealer einen tollen Job – ganz ohne Schulabschluss oder Berufsausbildung …
Drogen sind weder so noch so eine Lösung, im Gegenteil. Wie oft wurde das schon oft gesagt … Hat es was gebracht? Eher nicht. Wie so viele menschliche Entscheidungen geschieht auch der Griff zum Glas, zur Zigarette, zum Koks usw. im Affekt. Tief innen wird ein Ausweg gesucht: Der nüchterne Gefühlszustand – man will ihn weg haben. Immer gibt es dafür ganz handfeste Gründe, aber die anzugehen wird dann vermieden. Man weiß vielleicht auch gar nicht, wie.
Für zehn Euro bekommt man derzeit einen Bubble Heroin in der Nordstadt. Richtig billig klingt das. In vielen Fällen kostet es das Leben. Nicht nur, weil das in Deutschland gehandelte Heroin bis zu 20% mit Füllstoffen gestreckt wird, die sogenannte Shakes hervorrufen können: Übelkeit, Erbrechen, Schüttelfrost, Fieber, Juckreiz, Krampfanfälle, Bewusstlosigkeit oder Schockzustände, die mehrere Stunden anhalten. Die Gefahr, abhängig zu werden, ist bei Heroin riesengroß. In kürzester Zeit muss die Dosis gesteigert werden. Das Perverse dabei ist, dass sich das tolle Gefühl, welches Heroin bei den ersten Malen auslöst, niemals wieder einstellt. Im Gegenteil: Nach wenigen Wiederholungen dient die immer größere Dosis nur noch dazu, sich nicht beschissen zu fühlen. Der Betroffene wird zum Gepeinigten der Droge, kann kaum noch an etwas anderes denken. Crystal Speed macht sogar noch schneller abhängig. Das glitzernde Pulver ist eine der aggressivsten Drogen, die es gibt, eine Droge, die den Körper richtiggehend kaputt macht: „High bis zum körperlichen Verfall“.
Auch bei Alkoholikern geht ohne Alk im Blut bald gar nichts mehr. Tatsächlich übersteigt die Zahl der Alkoholtoten die der anderen Drogen-Toten um das 200-Fache. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, dass Fusel legal ist, leider neben Zigaretten auch oft die Einstiegsdroge in Härteres. Alkoholisiert nimmt man eben vieles auf die leichte Schulter. Umso schwerer wiegt sie am Ende …
Zusammen mit den Nachbarn, die am letzten Donnerstag ins Quartiersbüro am Borsigplatz kamen, entwickelten die „Crashtest“-erfahrenen „Checker“ Dieter Paetzold, Kai Jütting und Gerd Neumann erste Ideen für eine Theateraktion, die vor Augen führen könnte, dass jede Alternative zu Drogen die bessere Wahl ist, und dass öffentlicher Drogenverkauf in der Nordstadt – gerade wegen der Kinder und Jugendlichen, die hier aufwachsen – sehr ungern gesehen wird.
Weitere Ideen und Akteure sind willkommen! Das nächste Treffen ist für den 25. April um 14 Uhr festgesetzt. Es findet beim Verein Borsig11 e.V. statt, Borsigplatz 9 (Vivawest-Geschäftsstelle).