Knapp 50 Studenten bekamen Anfang dieser Woche Gelegenheit, das hinter hohen Mauern abgeschottete ThyssenKrupp-Gelände der ehemaligen Westfalenhütte in Augenschein zu nehmen – wenn auch nur vom Bus aus. Anlass war die Auslobung eines Architektur-Preises, der seit den 60ern jährlich bis zweijährlich vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft vergeben wird und mit 10.000 Euro dotiert ist. Seit 2002 liegt der Schwerpunkt dieser Wettbewerbe entsprechend aktueller städtebaulicher Fragestellungen auf der Rekonnektion und Transformation vormals rein industrieller Gebiete. Vor genau dieser Aufgabe stehen große Teile der ehemaligen Westfalenhütte. Seit geraumer Zeit ist hier eine Neunutzung von rund 200 Hektar Brachfläche geplant und erwünscht. Schon 2006 wurde im Rahmen eines Ideenwettbewerbs damit begonnen, das Grundstück darauf vorzubereiten. Ein Viertel davon wird von einem Hamburger Logistikimmobilienentwickler entsprechend vermarktet – bisher eher schleppend. Laut neueren Infos gäbe es aber jetzt Interessenten.
Weitere Aufwendungen, um den Rest des Geländes herzurichten, sind dem Eigner ThyssenKrupp zu kostspielig. Zusammen mit NRW.URBAN und der Wirtschaftsförderung wurde unlängst ein Modell erarbeitet, das die Voraussetzungen für eine Landes-Förderung schaffen soll. Konkret bedeutet dies: Teile der nicht rentierlichen Aufwendungen sollen durch eine öffentliche Förderung übernommen werden.
Auch der studentische Ideenwettbewerb spart ThyssenKrupp Geld, so z.B. die Kosten für ein Gutachterverfahren oder sonstige Vorstudien. Vor allem aber bekommt der ins Stocken geratene Prozess neue Impulse, auf denen konkrete Umsetzungen aufbauen können. Studierende der Raumplanung an den Universitäten Dortmund, Bochum, Aachen, Kassel und Hannover wurden dazu zur Teilnahme aufgefordert. Sie sollen Konzepte erarbeiten, die das Bestandsquartier in seiner Eigenart stärken, Freiräume vernetzen und neue Wohnangebote schaffen.
In der Aufgabenstellung ist von einem gravierenden Wohnungsmangel in deutschen Großstädten die Rede. Man darf gespannt sein, welcher Wohnungssuchende sich angesichts der vielen Neubauprojekte in Dortmund für das Quartier am Borsigplatz entscheidet. Keine leichte Aufgabe für die Wettbewerbsteilnehmer, auch wenn Michael Flachmann vom örtlichen Vermieter Vivawest ihnen erfolgreiche Beispiele aus Recklinghausen und Essen an die Wand projizierte, bei denen verruchte Siedlungen wieder attraktiv gemacht wurden. Rein bauliche Veränderungen reichen aber wohl auch nicht aus: „Von Mietern, die für Unruhe sorgen, muss man sich trennen“, stellt Flachmann klar, „und so für die anderen Mieter ein Signal setzen – auch, wenn man dabei zunächst 30% Leerstand riskiert.“
Ob Vivawest den Südzipfel der Brachfläche kauft? Um diesen „Entwicklungsbereich 4“ des gesamten Geländes geht es nämlich beim Wettbewerb. Er zieht sich vom Hoeschmuseum zwischen Eisenbahnstrecke und Stahlwerkstraße bis zur Dürener Straße. In der Aufgabenstellung heißt es: „Auf der Fläche zwischen kleinem Hoesch-Park an der Dürener Straße und Hoesch-Museum werden Arrondierungen der Wohnnutzung mit einem gehobenen Zielpublikum angestrebt. Ebenso sollen hier Dienstleistungsbereiche und damit die neuen Frequenzen im Quartier zu einer Anhebung der Angebote in der Nahversorgung führen.“ Kann das gelingen – ganz ohne See (wie in Hörde)?
Flachmanns Vortrag fand im ThyssenKrupp InfoCenter hinter den Schranken am Ende der Oesterholzstraße statt. Am Vortag hatten auch zwei städtische Vertreter gesprochen, der Kurator des Hoesch-Museums, außerdem einige Professoren, aus Dortmund Prof. Christa Reicher. Damit die Studenten das Viertel selbst ein bisschen kennen lernten, zogen sie mit der Stadtteil-Kennerin Annette Kritzler um die Häuser, folgen ihr in die Dreifaltigkeitskirche, den Hoeschpark, natürlich auch zum Knabberladen Muskara. Dann landeten sie bei Borsig11 e.V., dem aus „2-3 Straßen“ geborenen Verein, im Kundencenter von Vivawest. Volker Pohlüke und Guido Meincke hatten nicht allzuviel Zeit, ihre Lokalökonomie-Vorhaben zu erläutern. Das Programm für die Studenten war straff gezurrt. Doch das Angebot, ein paar Tage in der Gästewohnung vor Ort zu wohnen oder sogar eine vergünstigte Studenten-WG zu beziehen, erregte großes Interesse. Zwei Studenten aus Kassel bedauerten, dass der Workshop kaum Kontaktaufnahme zu den Quartiersbewohnern beinhaltete.
Zurück an ihren Unis haben die jeweils acht gesandten Studenten die Aufgabe, ihre Kommilitonen über alles zu informieren und mit ihnen gemeinsam das Wintersemester über einen Masterplan zu entwickeln. Dazu gehören auch Struktur- und Sozialraumanalysen, Skizzen und Präsentationen. Jede Hochschule kann vier Entwürfe einreichen. Im April 2013 findet in Dortmund die Jurierung statt. Beim letzten Wettbewerb war das Plangebiet der Zukunftscampus der BASF südlich von Ludwigshafen auf dem Gelände des bisherigen Agrarzentrums. Als Teil ihrer regulären Semesterarbeit hatten hier Studenten der TUs Darmstadt, Kaiserslautern und Karlsruhe Ideen entwickelt, auf die bisher niemand gekommen war.